D
as kleine „s“ macht den Un-
terschied, sonst könnte man
diesen Standard mit dem Beat-
les-Evergreen „Yesterday“ ver-
wechseln. In unserem Fall jedoch
ist von dem äußerst erfolgreichen
Titel aus der Feder von Jerome
Kern (Musik) und Otto Harbach
(Text) die Rede - im Entstehungs-
jahr
1933
dürften die Pilzköpfe
noch nicht einmal in der Planung
gewesen sein. Das Musical „Ro-
berta“, das „Yesterdays“ enthielt,
war so erfolgreich, dass wenig
später davon ein Film gedreht wur-
de, dort tanzten Fred Astaire und
Ginger Rogers nach dieser Musik.
Meist schielten damals die Big-
Band-Leader, die wie Artie Shaw
mehr Tanz- als Jazzmusik spielten,
auf die Bühnen des Broadway, um
neues Futter für ihren Sound zu fin-
den, und wurden wie in diesem Fall
auch fündig. Doch „Yesterdays“
machte auch im „puren Jazz“ Kar-
riere, und wieder einmal fällt es mir
schwer, unter den vielen Versionen
auszuwählen.
Zum
75
. Geburtstag des Labels
Blue Note erscheint eine ganze
JAZZ
CDs
|
NEUES AUS
DER MUSIKWELT
von Thomas Hintze
Aus seiner umfangreichen CD-Sammlung
fischt der Jazz-Kenner und -Liebhaber
Thomas Hintze für die STEREO-Leser jeden
Monat die schönsten Schätze. Im Folgenden
widmet er sich den Standards.
Meine Jazz Standards
„Yesterdays“
dem noch Hank Mobley (Tenor-
saxofon), Horace Silver (Klavier)
und Doug Watkins (Bass).
Die CD „The Trio“ mit Gonzalo
Rubalcaba (Blue Note) hatte ich
einmal aus Tokio mitgebracht, bin
ich doch ein großer Verehrer die-
ses aus Kuba stammenden Jazzpia-
nisten. In der Zwischenzeit gibt es
die CD aber auch auf dem Origi-
nallabel Blue Note (vorher war sie
nur auf dem japanischen Label
„Somethin’else“ erhältlich). Auf-
genommen hat man die CD
1997
in
gezeichnet wäre: Selten habe ich
ein Pianotrio so großartig „durch-
hören“ können.
Auf diese Klangqualität bezogen
müsste ich an dieser Stelle eigent-
lich schreiben: Dies finde ich so ex-
emplarisch sonst nur bei Keith Jar-
rett. Wie es der Zufall so will, ti-
telt in der Tat eine CD von ihm ge-
meinsam mit Gary Peacock (Bass)
und Jack DeJohnette (Schlagzeug)
„Yesterdays“ (ECM). Bei Keith Jar-
rett sind seine Mitspieler stets
gleichberechtigt, deshalb will ich
sofort zurück und beschränkt sich
auf kurze Einwürfe, die Harmoni-
en andeutend. Keith Jarrett könn-
te in Sachen Standards in fast je-
der Ausgabe Vorkommen, da muss
ich mich immer etwas beschrän-
ken, dieses Mal aber war dies mehr
als überfällig. Auch hier handelt es
sich um eine Live-Aufnahme, aber
eine aus Japan, wo es leiser zugeht
als im amerikanischen Club.
Mein heutiger Standard „Yes-
terdays“ verführt zu einer Spiel-
weise, die alle Musiker mit ein-
bezieht. Auf der CD „Voyage“ von
Stan Getz (Aspen Records) finden
wir dieses bestätigt. Neben Stan
Getz am Tenorsaxofon musizieren
noch Kenny Barron (Klavier), Ge-
orge Mraz (Bass) und Victor Lewis
(Schlagzeug) - eine hochkarätige
Besetzung. Getz klingt hier übri-
gens keineswegs nur „cool“, son-
dern hat ausgesprochen expressi-
ve Parts in seinem Vortrag. Da ich
Kenny Barron als Pianisten sehr
verehre, freut es mich natürlich,
dass Getz ihm genug Freiraum für
ein Solo lässt. Und George Mraz
schätze ich unter den Bassisten
The Jazz Messengers: At The Café
Bohemia Volume 2
T ß
1
Gonzalo Rubalcaba: The Trio
K eith Jarrett
G ary P eaco ck
Jacv D e Jo h n ette
Keith Jarrett, Gary Peacock, Jack
DeJohnette: Yesterdays
Stan Getz: Voyage
Reihe von Wiederveröffentlichun-
gen, auch auf LP, doch leider ist die
CD „The Jazz Messengers At The
Café Bohemia Volume
2
“ (Blue No-
te) nicht dabei. Da es eine Live-Auf-
nahme ist, wird - wie fast immer in
Amerika - im Hintergrund ausgie-
big geschwätzt. Aber wenn der ers-
te Ton von dem großartigen Trom-
peter Kenny Dorham erklingt, kehrt
Stille ein. Art Blakey am Schlag-
zeug hält sich auffallend zurück
und überlässt Dorham das Feld.
Wenn Sie also einmal eine strah-
lende Trompete hören möchten:
Hier hat sie Rudy Van Gelder bei-
spielhaft eingefangen. Auf den fünf
Titeln der Platte hören wir außer-
New York. Neben Rubalca am Kla-
vier finden wir hier noch Dennis
Chambers (Schlagzeug) und Brian
Bromberg (Bass). Nach der Einlei-
tung am Klavier entfaltet sich ei-
ne Klangwelt, die mich fasziniert:
Diese Frische im Zusammenspiel
erstaunt mich immer wieder aufs
Neue. Rubalcaba geht äußerst frei
mit dem Thema um, findet aber
stets zurück. Außerdem swingt
die Aufnahme dank des kontinu-
ierlichen Beats des Schlagzeugs
unaufhörlich, aber auch der Bass,
der später ein schönes Solo bei-
steuert, trägt dazu bei. Ich wäre
aber nicht halb so begeistert, wenn
nicht die Aufnahmequalität so aus-
mich bei der Benennung auch da-
ran
halten.
Sollten
Sie
mei-
nen Empfehlungen folgen, legen
Sie die beiden letzten nachei-
nander auf. Unterschiedlicher kann
das gleiche Stück von zwei Musi-
kern kaum interpretiert werden.
Auch Jarrett geht sehr frei mit dem
Thema um, doch wenn Sie es im
Ohr haben, werden Sie es nie ver-
lieren. Gary Peacock und Jack De-
Johnette demonstrieren, was Jar-
rett unter Gleichberechtigung in
„seiner“ Musik versteht: Wenn es
der Fluss der Musik zulässt, über-
lässt er den beiden Kollegen das
Terrain für ein Solo. Wenn Peacock
diesen Part hat, nimmt sich Jarrett
außerordentlich, er gehört zu den
Vielseitigsten seines Instruments:
Ganz gleich, mit wem er auch zu-
sammentrifft, stets prägt er den
Sound entscheidend mit. Genau-
so ist es mit dem Schlagzeuger
Victor Lewis. Er bringt die Musik
förmlich zum Schweben - egal, ob
er mit den Sticks oder dem Besen
„arbeitet“. Den Eröffnungstitel der
CD „I Wanted To Say“ hat er kom-
poniert, und so erzählt er uns dort
seine „Geschichte“. Man glaubt zu
hören, wie er sich für den Fluss der
Musik verantwortlich fühlt, denn
das gelingt ihm in allen Titeln aus-
gezeichnet. Ich wünsche Ihnen viel
Spaß, Ihr Thomas Hintze.
130 STERE9 9/2014
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